Trinken, ohne sich zu berauschen (Stuttgarter Zeitung)
Muss man sich den schönsaufen? Alkoholfreier Wein gilt als Nischenprodukt. Der Trend zum gesunden Genuss beflügelt ihn nun. Stuttgarter Gastronomen haben Alternativen ohne Umdrehung getestet – mit überraschenden Ergebnissen. (...)
„Beim alkoholfreien Wein sind wir am Anfang einer Reise“, sagt Moritz Zyrewitz, einer der beiden Gründer des Berliner Start-Ups Kolonne Null. Die alkoholfreien Alternativen im Weinglas verheißen Enthaltsamkeit ohne Entbehrung.
Alkohol sei ein Geschmacksträger, der in gesunden Varianten fehlt. Dennoch müssten Bars Alternativen anbieten, findet er: „Immer mehr wollen sich vegan ernähren – und auch ohne Alkohol.“ Mit Kolonne Null im Weinglas hätten Gesundheitsbewusste „ein Bar-Feeling“.
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In der Pandemie ist der Umsatz um das Vierfache gestiegen
Während die Prickelsorten, die am besten ankommen, nicht Sekt heißen dürfen, ist der Begriff „alkoholfreier Wein“ erlaubt. Immerhin fällt die Sektsteuer weg für die Kolonne Null, weil die für Schaumgetränke nicht gilt. Das Beispiel eines anderes Lebensmittels zeigt: Hafermilch musste in Haferdrink umbenannt werden. Alkoholfreie Weine dürfen ihren Begriff behalten, was mit „Lobbyismus der Winzer“ zu tun habe, wie Philipp Rößle von der Kolonne sagt.
Mit Unternehmer Moritz Zyveritz hat der Künstler Rößle in einer WG gelebt und immer wieder am Frühstückstisch den Kater nach langen Nächten beklagt. Mit Weinbergen hatten die beiden nichts zu tun und keine Vorfahren in diesen Berufen. Dennoch beschlossen sie, ein Start-up für alkoholfreien Genuss zu gründen. In der Coronapandemie konnte die Firma, die heute elf Mitarbeiterinnen und sechs Mitarbeiter beschäftigt, den Umsatz um das Vierfache steigern. Es gibt immer mehr Menschen, die gesund leben wollen – nicht nur Sportler, Schwangere und Hochleistungsnerds.
In der Zoom-Konferenz erklären die Macher, wie aufwendig es ist, guten Weinen den Alkohol zu entziehen, auf dass sie gut bleiben. Eines wird allen klar. Was Kolonne Null macht, sind keine Traubensäfte, sondern viel mehr –ist es der Genuss der Zukunft?
Autor: Uwe Bogen
Print: Stuttgarter Zeitung, 27.03.2021, S. 33